Grenzen des Wachstums

Dass es Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums und vor allem des Ressourcenver­brauchs und der ökologischen Belastung gibt, ist wohl kaum ernsthaft in Frage zu stellen. Als Einleitung zu zwei Stellungnahmen pro und contra Sinn und Notwendig­keit von Wachstum verfasste NZZ-Redaktor Markus Hofmann die folgende Standort­bestimmung (NZZ 22. Juli 2013):

„Wo verlaufen die ökologischen Grenzen der Erde? Forscher steckten 2009 die plane­tarischen Leitplanken für die neun wichtigsten ökologischen Dimensionen ab - vom Klimawandel und vom Biodiversitätsverlust bis zum Wasserverbrauch und zur Ver­schmutzung durch Chemikalien. Für jeden Bereich bestehen Belastungsgrenzen. Wer­den sie überschritten, könnte sich die Umwelt plötzlich und unumkehrbar zum Scha­den der Menschheit verändern. Das Konzept der planetarischen Leitplanken schliesst an die «Grenzen des Wachstums» aus den 1970er Jahren an und widerspiegelt eine weitverbreitete Stimmung: Die Ideologie des «Immer mehr» wird einmal mehr kri­tisch hinterfragt. Den Bestseller dazu schrieb der Nachhaltigkeits-Professor Tim Jack­son. Sein Titel lautet: «Wohlstand ohne Wachstum - Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt». Aus ökologischer Notwendigkeit haben wir den Ort erreicht, den Ludwig Erhard, der ordoliberale Schöpfer des Wirtschaftswunders, 1957 voraussah: «Wir werden sogar mit Sicherheit dahin gelangen, dass zu Recht die Frage gestellt wird, ob es noch immer nützlich und richtig ist, mehr Güter, mehr materiellen Wohl­stand zu erzeugen, oder ob es nicht sinnvoll ist, unter Verzichtsleistung auf diesen mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr Musse und mehr Erholung zu ge­winnen.»"

Zwei Forscherinnen aus dem Bereich Ökologie/Ökonomie (Irmi Seidl und An­gelika Zahrndt) begründen Ihre Überzeugung, weshalb die Wachstumsgesell­schaft ein Auslaufmodell sei (bzw. sein muss), Samuel Rutz und Gerhard Schwarz von Avenir Suisse erläutern ihre Auffassung, dass Wachstum ein na­türliches Phänomen sei.

Seidl/Zahrndt führen aus, weshalb Wachstum nicht mehr sein muss (Infra­strukturen weitgehend gebaut, schrumpfende Bevölkerungszahlen, Wohler­gehen steigt nicht mehr zusammen mit Wachstum, ökologische Grenzen). Sie räumen gleichzeitig ein, dass ein Ende des Wachstums zu Problemen führt, weil verschiedene gesellschaftliche Einrichtungen (z.B. Altersvorsorge) auf Wachstum ausgelegt sind.

Rutz/Schwarz machen es sich argumentativ einfacher. Etwas diffamierend wirkt ihr Hinweis, dass gerade Leute „mit dem beruhigenden Wissen um Ver­mögen oder Erbschaften im Hintergrund", denen es relativ gut gehe, das Postulat des Wachstumsstopps formulieren würden. Sie Begründen die Na­turgegebenheit von Wachstum mit der offenbar zwingenden Wirkungskette technologischer Fort­schritt > Produktivitätssteigerung > Preissenkungen > Wachstum. „Das zen­trale Argument für Wachstum lautet, dass Wirtschafts­wachstum gewisser­massen ein natürliches Phänomen ist, eine anthropologi­sche Konstante, die dem Streben der Menschen nach mehr vom Gleichen und nach immer Neu­em ( ... ) entspringt." Sie verbinden ihre Auffassung mit dem Appell, der Staat solle nichts tun, was das Wachstum anheizt, und im übrigen solle er alle „das Unternehmertum behindernden Regulierungen (beseitigen), unter gleichzei­tiger Aufhebung aller spezifischen, auf einzelne Regionen, Märkte, Produkte, Produktionsprozesse und Unternehmen fokus­sierten Förderung. Auf sich abzeichnende Grenzen des Wachstums gehen sie mit keinem Wort ein.

Ich wohne in nächster Nähe des während gut drei Tagen von täglich um die 40'000 Jugendlichen besuchten Frauenfeld Openairs. Das Bild des Openair-Geländes am anschliessenden Montagsmorgen ging durch die Presse. Früher war der Erwerb eines kleinen Spatz-Zeltes ein fast nicht erfüllbares Traumziel für einen Jugendlichen. Heute besuchen die Jugendlichen mit 30-fränkigen Zelten und noch billigeren Schlafsäcken das Openair – und lassen alles lie­gen, teils zerstört, weil der Preis die Mühe nicht lohnt, alles wieder mitzu­nehmen. - Ja, „die Produktivitätssteigerungen in Form von Preissenkungen ( ... ) der produzierten Güter ... (kommen) der Allgemeinheit zugute." (Rutz/Schwarz)

Wir treffen in diesen beiden Stellungsbezügen eine ähnliche Situation an wie bei der Auseinandersetzung von Vater und Mutter. Der Vater sagt: es ist höchste Zeit, dass Hans sich anstrengt und etwas lernt, sonst wird nie etwas Ordentliches aus ihm. Die Mutter entgegnet: Hans ist halt einfach bequem, das liegt in seiner Natur. Vielleicht wird er von selbst aufwachen. - Wer hat recht?

Im Falle der Eltern haben beide recht. Es sind zwei Arten des Umgehens mit einem Problem. Im Falle der Wachstumsdiskussion kann man nicht einfach beiden recht geben, weil die einen (Seidl/Zahrndt) sich mit der gestellten Frage auseinandersetzen und auch klar machen, dass Lösungen erst noch ge­sucht werden müssen. Die anderen (Rutz/Schwarz) gehen auf die gestellte Frage (ökologische Grenzen) gar nicht ein. Dafür stellen sie eine fragwürdige These auf, diejenige der Natürlichkeit.

Der Öko-Pionier Pierre Fornallaz verwies immer wieder auf die Natur, wenn er von der Absurdität des exponentiellen Wachstumsdenkens in der Wirt­schaft sprach. Einerseits meinte er damit die Zins/Zinseszins-Problematik. Andererseits führt aber auch die Idee eines bestimmten jährlichen Wachs­tumsziels (z.B. 2%) zu einer exponentiellen Bewegung. Solches Wachstum gibt es in der Natur nicht. Natur besteht in Expansion und Kontraktion. Entwicklungs­schritte bedingen meist Verlust früherer Eigenschaften. Am Schluss sind von einer riesigen Eiche nur noch die kleinen Eicheln übrig. Natur ist nie linear wachsend, schon gar nicht exponentiell. Nun mag man einwenden, mit „natürlichem Phänomen" sei gar nicht eine Analogie mit Naturprozessen behauptet. Rutz/Schwarz verwenden denn gleichzeitig auch den Begriff „anthropologische Konstante". Sie dürften allerdings Mühe haben, in den Wissenschaftsbereichen Anthropologie, Psychologie oder Soziologie stichhaltige Begründungen für ihre These zu finden.
Der Ordoliberale Schwarz verweist immer wieder auf die Errungenschaft der Freiheit – und huldigt gleichzeitig einem Fatalismus des Getriebenseins durch eine be­hauptete anthropologische Konstante. Freiheit beinhaltet auch die Verant­wortung, Lösungswege zu entwickeln, die weder von Lenin noch von von Hayek bereits vorgedacht worden sind. Der vorgetragene Fatalismus mag zu „Avenir Suisse" passen, ganz sicher aber nicht zu avenir monde.

Originalbeiträge in der NZZ vom 22.7.2013
Seidl/Zahrndt

Rutz/Schwarz

Zuschriften zu Rutz / Schwarz