Für bezahlbare Mieten für Wohnen und Gewerbe

Situation

Die Kantone stöhnen unter der massiv zunehmenden Last der Sozial- und Ergänzungsleistungen (EL). «Von der Öffentlichkeit und der Politik lange kaum wahrgenommen, entwickelten die EL ... eine weit über dem Wirtschaftswachstum liegende Ausgabendynamik.» (NZZ 24.2.2016) Der Schweizerische Arbeitgeberverband ist mit seiner am 25. November 2015 geäusserten Beurteilung nicht allein: «Die Finanzierung der Ergänzungsleistungen (EL) läuft aus dem Ruder. Innerhalb der letzten 10 Jahre stiegen die EL-Ausgaben um mehr als 50 Prozent auf 4,5 Milliarden Franken pro Jahr; bis 2020 droht ein weiterer Kostenschub auf 5,5 Milliarden.»

Jüngere Fälle von Mietzinswucher in Zürich lenkten die Aufmerksamkeit auf eine Ursache des steigenden Sozialaufwands. Sowohl bei der Bemessung der Ergänzungsleistungen wie der Sozialhilfe sind die Wohnkosten ein zentraler Faktor. «Als Wohnkosten übernommen werden der Mietzins, soweit dieser im ortsüblichen Rahmen liegt, sowie die im Mietvertrag festgelegten Wohnnebenkosten.» (SKOS - Richtlinie B.3)

«Zwischen 2001 und 2014 sei der durchschnittliche Mietzins in der Schweiz um 21 Prozent gestiegen, schreibt der Bundesrat in seiner Botschaft der Vorlage zur Neuberechnung der anrechenbaren Mietzinsmaxima bei den Ergänzungsleistungen.» (NZZ 26.6.2015) Realitätsnaher sind die Angaben von Wüest & Partner, die nicht von statistischen Durchschnitten, sondern von Marktbeobachtungen ausgehen: Von 2000 bis 2014 haben die Mieten um 53% zugenommen (Eigentumswohnungen fast 80% Steigerung!). Der Wert der Wohnimmobilien in der Schweiz war in zehn Jahren um über 900 Milliarden Franken gestiegen (2003 bis 2013; Angaben Wüest & Partner). Diese Wertsteigerungen schlagen auf die Mieten durch und tragen u.a. dazu bei, dass viele Menschen staatliche Unterstützung beanspruchen müssen. Die Leiterin eines kantonalen Fürsorgeamts stellt fest: «Es versteht sich von selbst, dass höhere Mieten entsprechend höhere Unterstützungsleistungen auslösen.» Auch Industrie und Gewerbe haben die hohen Mieten zu bezahlen haben, was deren Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt. Die Entwicklungen klaffen auseinander: Während Mieten um 53% zugenommen haben, lag die Steigerung des Bruttoinlandprodukts im selben Zeitraum bei 40%. Die Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit haben 2000 bis 2013 „nur“ um 37.6% zugenommen. Woher kann eine Korrektur dieser Fehlentwicklungen kommen.

Alternativen – ein Fallbeispiel

Es «zeigt sich, dass Wohnungen des gemeinnützigen Wohnungsmarkts durchschnittlich 26 Prozent billiger sind als die Wohnungen, die zu Marktpreisen angeboten werden.» (NZZ 3.7.2009) Neben den klassischen Wohnbaugenossenschaften gibt es weitere Wohnbauträger, die einen Beitrag zur Dämpfung der Wohnkostenentwicklung leisten möchten. Modellhaft realisiert dies die kleine Stiftung Nutzungseigentum am Boden. Sie erwirbt Boden und stellt ihn Einzelpersonen, Genossenschaften oder anderen Einrichtungen zur Nutzung / Bebauung zur Verfügung. Die Häuser auf diesen Grundstücken sind frei verkäuflich, der Boden muss gemäss Statuten in der Hand der Stiftung bleiben. Die Nutzungsgebühr (Baurechtszins) ist lediglich indexiert und wird nicht der Boden-Preisentwicklung angepasst. Der Erfahrungszeitraum von gut 20 Jahren zeigt, dass das Entgelt für die Nutzung des Bodens deutlich unter dem (kapitalisierten) Wert liegt, der für Grundstücke im Quartier aufgewendet werden muss. Wohneigentum und Mieten bleibt möglich, auch für einkommensschwächere Bewohner.

Nun sollte man annehmen können, dass eine Stiftung im Allgemeininteresse handelt und somit als gemeinnützig gelten könnte, wenn sie kein anderes Ziel verfolgt, als die günstige Bewohnbarkeit von Häusern durch moderate Mieten zu fördern. «Die Tätigkeit der juristischen Person muss im Interesse der Allgemeinheit liegen und gilt aus gesell­schaftlicher Gesamtsicht als fördernswert» schreibt die Steuerverwaltung eines Schweizer Kantons im Februar 2016 an die erwähnte Stiftung. Das oben geschilderte materielle Ziel der langfristigen «Verbilligung» des Wohnens wird im Bescheid der Steuerverwaltung nicht gewürdigt, dagegen wird ideell (ideologisch) argumentiert: «Die Vermarktung und damit Handelbarkeit des Bodens gilt in der Schweiz als allgemeine Volksauf­fassung. ... Die Schweiz ist bekannt als Land der freien Marktwirtschaft. Eine Änderung des Systems würde einen tiefgreifenden Einschnitt in diese freie Handlungs- und Marktwirtschaft bedeuten.» Zwar ist hinter diese Argumentation ein Fragezeichen zu setzen. Denn die Idee der freien Marktwirtschaft und Handelbarkeit kann ja eben nicht bedeuten, dass an dieser Freiheit nur ein sehr kleiner Kreis der Bevölkerung zu partizipieren vermag. Aber vielleicht treibt den Briefschreibers ganz einfach die Angst vor Ertragsrückgängen: «Damit der Staat seine Aufgaben erfüllen kann, werden Steuern erhoben. Für den Grund und Boden erhebt der Staat (Kanton) eine Vermögenssteuer. Aufgrund des immensen Wertes von Grund und Boden vereinnahmen die Kantone dadurch erhebliche Steuern. ... Die Einnah­men aus diesen Steuern würden bei einem Systemwechsel einbrechen. Der Staat müsste entweder auf Aufgaben verzichten oder die Steuern für alle erhöhen, was nicht im Interesse der Allgemein­heit liegt.» Die inflationäre Entwicklung von Mieten und Wohneigentum ist auch unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Fehlentwicklung. Wenn eine Behörde solche Fehlentwicklungen verteidigt, weil sie davon profitiert, liegt ein Fehlanreiz vor. Ebensogut könnte sie Inflation generell begrüssen, weil sie progressionsbedingt davon profitiert. Totzdem (oder deshalb) hat die Steuerbehörde mit dieser Argumentation die Anerkennung der Gemeinnützigkeit verweigert.
Allerdings beisst sich die Katze in den Schwanz. Man kann durchaus sagen: wenn der Staat die Sozialausgaben erhöht, dann wird damit mittelbar das Wachstum der Grundrenten subventioniert, was wiederum den Bodenwert steigert. Die «freie Marktwirtschaft» im Immobilienmarkt hat den Staat in eine Falle gelockt. Denn die Grundstück- und damit die Mietkosten steigen, wie gezeigt wurde, deutlich schneller als das Volkseinkommen, das letztlich die Grundlage für den Grossteil der Steuererträge bildet. Würde die Steuerbehörde den Blick von der Einnahmen auch auf die Ausgabenseite ausweiten, müsste sie zum Schluss kommen, dass die Tätigkeit von Stiftungen steuerlich zu unterstützen ist, um die ständige Erhöhung von Sozialausgaben zu dämpfen.

Vorschlag

Da es im Interesse der Allgemeinheit liegt, dass die Raumkosten für Wohnen und Gewerbe bezahlbar bleiben, fördert der Staat Massnahmen und Einrichtungen, die eine Beschränkung der Raumkosten zum Ziel haben. Es sind Änderungen in der Praxis der Steuerbefreiung einzuleiten, die bewirken, dass A. Die Kriterien der Gemeinnützigkeit in Bezug auf Ziele der «Neutralisierung» von Boden erweitert werden und B. in der Folge Erbschaften und Schenkungen von Boden an gemeinnützige Trägerschaften steuerlich nicht mehr belastet werden. Solche steuerbefreiten Schenkungen sollen dann möglich sein, wenn die gemeinnützigen Träger in Statuten und im Vollzug definierten Kriterien genügen.

Anmerkung:
Bei diesem Text handelt es sich um die Ausarbeitung eines Referats anlässlich der Konferenz der Stiftung Zukunftsrat am 1. Februar 2016 auf dem Gurten bei Bern und gleichzeitig um den Entwurf für eine Publikation, welche die Beiträge der Konferenz zusammenfasst.