Separatismus

Kurdish languages mapKurdish languages map. Quelle: Wikimedia„Kein Nationalstaat ist heilig. Staatliche Legitimation setzt immer das Vertrauen der Bürger voraus. Doch auch wenn Regierungen dieses verspielen, ist Separatismus noch kein Grundrecht.“ So formuliert Daniel Steinvorth im Leitartikel der NZZ vom 7. Oktober 2017. Der Beitrag spiegelt das verkrampfte Verhältnis zum Nationalstaat. Die WOZ stellt am 5.10.2017 fest: "Weltweit haben die SeparatistInnen Zulauf, nicht nur in Katalonien und Kurdistan." und fragt "Doch ist ihr Kampf um Autonomie legitim?"

Vorab ist festzuhalten, dass fast alle bestehenden Grenzen aus vordemokratischer Zeit stammen und in einem Zusammenspiel von Zufall und Machtausübung entstanden sind – ohne Berücksichtigung der Bedürfnisse von Menschen, die diesseits und jenseits der Grenzen wohnten. Deshalb geniessen diese Grenzen keine besonders starke Legitimation. Quasi legitimiert werden sich durch Jahrzehnte lange Machtausübung. In der europäischen Union (die die Grenzen abschaffen will) wurden diese Grenzen zusätzlich und nachhaltig gefestigt. Niemand will erlauben, dass die Pandora-Büchse der Grenzziehungen geöffnet wird. Deshalb gibt es für die Staaten und die Staatengemeinschaft keinen anderen Weg, als die separatistischen Bewegungen zu unterdrücken.

Zwar gibt es auf der einen Seite durchaus Sympathien für die Kurden, die Katalonier, die Basken, Krimtataren usw. Auf der anderen Seite ist der Nationalstaat eben doch sehr heilig – weil kaum jemand sieht oder akzeptiert, dass es Alternativen gibt. Nicht etwa das sogenannte Selbstbestimmungsrecht der Völker, das nach dem Ersten Weltkrieg vor allem mit Blick auf den Balkan formuliert worden ist. Das Prinzip taugt gerade im auf dem Balkan oder in Nordsyrien / Nordirak nicht, wo verschiedene Ethnien und Religionsgemeinschaften Leben. Jede Mehrheitsabstimmung würde hier auf Kosten einer Minderheit gehen. Jede Verselbständigung aufgrund einer Mehrheitsabstimmung wäre der Beginn neuer Unterdrückung.

Bundesrat Berset hat vorgemacht, wo im Kleinen die Probleme beginnen: Als sich die Thurgauer anschickten, die Fremdsprache Französisch in die Oberstufe zu verschieben, drohte er mit einem Bundesobligatorium für Frühfranzösisch. Das wäre vielleicht weniger schlimm, als das Verbot des Russischen in der Ukraine, in der Intention aber doch sehr ähnlich. Nationalstaatliche Regierungen verhalten sich tendenziell kulturimperialistisch, beschwören sehr schnell den Zusammenhalt der Nation und drohen mit Gewalt.

Sehr viele Minderheitenkoflikte könnten vermieden oder entschärft werden, wenn die Minderheiten (dabei handelt es sich primär um Individuen, nicht um kompakte quasi-staatliche Gebilde) in den Genuss weitgehender kultureller Freiheit kommen würden. Dies ist aber gerade dem Einheitsstaat fremd, der sich zuständig fühlt, von der Müllabfuhr bis zur Schule, vom öffentlichen Verkehr bis zum Opernhaus alles zu verwalten. Dies führt zur Dominanz der Mehrheit, welche die Bedürfnisse und Empfindungen von Minoritäten andauernd verletzt.

Was nottut ist eine Diversifizierung und Differenzierung in der gesellschaftlichen Organisation. Genau davon handelt das Buch Eintopf und Eliten (Eintopf = Einheitsstaat).