Nachhaltige Landwirtschaft

K1024 DSC 4271Bild: Matthias WiesmannZusatznutzen - Zusatzschaden ?Frick, 28. Juni 2013 – die CoOpera Arbeitsgemeinschaft führt am Forschungsinstitut für biologischen Landbau eine Tagung unter dem Titel „Gestaltungsmöglichkeiten einer natur- und menschenwürdigen Landwirtschaft" durch. Programmgestalter war Niklaus Schär, referiert haben Urs Niggli (FIBL), Matthias Wiesmann (CoOpera), Fabio Brescacin (EcorNaturaSí), Christian Hiß (Regionalwert AG). Im Anschluss führte Alfred Schädeli über den FIBL-Hof.

Der folgende Kurzbericht fokussiert auf die Regionalwert AG und die Frage der Bewertung, Verbuchung und der Einpreisung von Nutzen oder Schaden, den unterschiedliche Methoden der Landwirtschaft mit sich bringen.

Christian Hiß gründete die Regionalwert AG im Breisgau mit einem Schritt, den man als Verzicht bezeichnen kann. Aufgrund der Auffassung, dass Landwirtschaftsbetriebe in Familieneigentum nicht mehr zeitgemäss seien, brachte er den väterlichen Betrieb in eine AG ein und pachtete den Betrieb von der AG. Das allein ist noch kein sehr unkonventioneller Schritt. Ein solcher bestand darin, dass er die AG öffnete und diese mittlerweile 520 Aktionäre umfasst. Diese Aktiengesellschaft ist das Instrument, mit dem betriebliche Nachfolgeregelungen realisiert und Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette vernetzt werden. Ein weiterer Schritt ist Hiß allerdings noch wichtiger. Er umschrieb ihn in einem Zeitschriftenbeitrag folgendermassen:

„Aber das Eigentliche, worum es geht, wenn wir das gegenwärtige Handeln reflektieren müssen, ist die Ökonomie an sich. Nachhaltigkeit ist eine ökonomische Einheit und nichts Anderes. Die Aufspaltung des Nachhaltigkeitsbegriffs1 in Ökonomie, Ökologie und Sozial es ist ein Denkfehler und lediglich der Versuch, den gegenwärtig etablierten Wirtschaftsbegriff zu schonen, von seiner Unvollständigkeit abzulenken, um Zeit zu gewinnen. Denn bei genauerer Betrachtung sind die Bereiche Ökonomie, Ökologie und Soziales synchron und gehen ineinander auf. Ökologisches Fehlverhalten ist gleichzeitig ökonomisches Fehlverhalten. Denn die Schäden, die durch das Wirtschaften an der existentiellen Lebensgrundlage verursacht werden, werfen Kosten auf, die früher oder später beglichen werden müssen. Deshalb ist das Kernproblem des gegenwärtigen nicht-nachhaltigen Wirtschaftens nicht in erster Linie in moralischen Kategorien zu suchen, sondern in ökonomischen." „Schönere Heimat" 12/01

Christian Hiß lehnt es vehement ab, als Schöpfer einer Insel oder eine Ausnahmeerscheinung in der bestehenden Wirtschaft zu gelten. Er möchte die sozialen und ökologischen Verdienste auch nicht in einer separaten Beilage zum (finanziellen) Jahresbericht (Bilanz / Erfolgrechnung) sehen. Wenn es schon so ist, dass soziale und ökologische Leistung unmittelbar (gesamt)wirtschaftlich relevant sind, dann muss diese Relevanz auch direkt in der Bilanz ihren Niederschlag finden. Es kann nicht sein, dass der eine Bauer seine Böden auslaugt und mit Agrochemie weltweit Spuren hinterlässt, der andere die Fruchtbarkeit der Böden, die Biodiversität usw. entwickelt – und die Rechnungslegung beider Betriebe nur Aufwand und Ertrag, Input und Output abbildet, während die Entwicklung des Werts der Naturgrundlage ignoriert wird. Folglich muss die Entwicklung der sozialen und ökologischen Werte in der Bilanz ihren zahlenmässigen Niederschlag finden. Zu diesem Zweck hat die Regionalwert AG einen Katalog von Bewertungskriterien zusammengestellt.

Dies ruft bei Buchhaltern Stirnrunzeln hervor. Der Wirtschaftsprüfer stellt sich quer. Zwar gibt es in der Bilanz durchaus die Kategorie der immateriellen Aktiven – beispielsweise Patente. Doch diese müssen realisiert werden können (beispielsweise durch den Verkauf von Lizenzen). Hiß wäre nicht Hiß, wenn er sich nicht vorgenommen hätte, auch diese Widerstände zu überwinden – auch wenn es einen Gang bis nach Brüssel bedeuten würde.

Denkansatz

Sind die Überlegungen konsequent? Schauen wir den konventionell-industriellen Bauern an. Er produziert, indem er einen Teil der Kosten externalisiert und (oft in Gemüsebaubetrieben) soziale Ausbeutung betreibt. Das Produkt, das er herstellt, ist eigentlich zu billig, weil im Preis nicht alle Kosten abgebildet werden.
Der andere Bauer, beispielsweise ein Betrieb der Regionalwert AG, pflegt die Bodenfruchtbarkeit und schenkt dem sozialen Zusammenhang innerhalb und ausserhalb des Betriebs Aufmerksamkeit. Der höhere Aufwand wird in den höheren Preisen mindestens zum Teil berücksichtigt.
Wenn wir die beiden Unternehmen auf der Ebene der Rechnungslegung vergleichen, dann müssen wir sagen: vor allem in der Bilanz des konventionellen Betriebs ist ein Manko; es sind nicht alle Kosten ausgewiesen. Eigentlich wäre es primär notwendig, den Mehrverbrauch an Ressourcen in der Rechnung des konventionellen Betriebs nachzutragen – nicht umgekehrt. Allerdings entsteht dann sofort ein politisches Problem, wie die Diskussion um die Kostenwahrheit im Strassenverkehr zeigt.

Abgeltung des Zusatznutzens

Ich nehme – wie eben angedeutet – an, dass die Kosten im Preis des „sozialen Ökoprodukts" nicht voll abgebildet sind. Wenn sie es wären, würde sich das Problem der Verbuchung sozialer und ökologische Leistungen gar nicht stellen. Es stellt sich die Frage, ob hier nicht ebenfalls – gegen den Trend – weitere Schritte gemacht werden könnten. Ich schreibe „gegen den Trend", weil der Konsum von Bioprodukten in den Anfängen klar ökologisch motiviert gewesen ist (mindestens in Bio-/Naturkostläden, weniger in Reformhäusern). Die massive Ausweitung des Konsums ist wesentlich auch eine Folge des Ansprechens des Gesundheitsegoismus. Für ökologisch-altruistische Motive scheint wenig Platz vorhanden.
Allerdings haben sich in den vergangenen Jahrzehnten verschiedene Modelle der Einpreisung oder Abgeltung entwickelt. Drei seien hier kurz angedeutet:

  • Fairtrade. In den Anfängen der Fairtradebewegung war der „Zusatznutzen" völlig auf den sozialen Aspekt beschränkt. Die Produkte selber stammten aus konventioneller Produktion. Dies trifft teilweise auch heute noch zu. Der Preiszuschlag wurde teils für einen höheren Preis, teils für die Einhaltung sozialer Standards eingesetzt.
  • Es gibt verschiedene Produkte / Dienstleistungen, welche eine ökologische Belastung beinhalten. Die Hersteller / Dienstleister erwerben Zertifikate zur Kompensation von beispielsweise CO2, schliessen die Kompensation in den Preis ein oder überlassen es dem Kunden, Produkt oder Dienstleistung mit oder ohne Kompensation zu beziehen (z.B. Automiete bei Mobility).
  • Erneuerbare Energie (Elektrizität). Preiszuschläge sind völlig vom gelieferten Produkt abgelöst. Dieses ist immer eine Mischung aus verschiedenen Stromquellen. Bezüger von „grüner Energie" zahlen mit einem Aufpreis eine Art Solidaritätsbeitrag an die höheren Gestehungskosten erneuerbarer Energie. GEMP (http://www.green-energy-marketplace.ch/) beliefert in diesem Sinn die schweizerische Post mit erneuerbarer Energie, welche diese für ihre Elektro-Verteilfahrzeuge einsetzt.

Website der Regionalwert AG