Wieder einmal Label-Salat
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- Erstellt: Samstag, 19. August 2017 22:05
Dieser Beitrag hat eine Meldung von bionetz.ch zum Ausgangspunkt (Link zu bionetz.ch-Website)
Warum Labelsalat? Eigentlich ein Journalisten-Lieblingswort, nun Überschrift auf bionetz.ch. Das Stichwort könnte zum Philosophieren anregen. Warum – wenn schon - nicht Labelvielfalt oder Labeldiversität? Das wären positiv besetzte Stichwörter, was gut zu einer Bio-Website passen würde. Die Nachricht ist ein Verweis auf einen NZZ-Artikel, betitelt mit „Bio – alles andere als logisch“. Es beliebte der bionetz.ch-Redaktion, den abgedroschenen Titel: „Labelsalat – mit Sauce“ zu setzen. Die Frage deshalb eher an bionetz.ch als an die NZZ-Autorin: weshalb dieser Salat-Begriff mit negativer Konnotation, wo doch alle Ernährungsfachleute dessen gesundheitlichen Aspekte betonen (vielleicht gerade deshalb?) und die sommerlichen Rezeptspalten voll von Salatvorschlägen sind? Weshalb scheint es (auch in der NZZ) spannend zu sein, Labelsalat ins Visier zu nehmen? Müsste da nicht gelegentlich nach der Logik der Marktwirtschaft gefragt werden? In den Weiten des Marktes gäbe es da noch anderes, was der Abhandlung würdig wäre, beispielsweise Waschmittel- oder Sneakermarkensalat. Hier gibt es eine noch viel verwirrendere Markenvielfalt. Weshalb hört man in diesem Konsumgüterbereich nichts von Verwirrung der KonsumentInnen, sondern immer nur im Bereich der Bio-Labels?
Oder leiden die KonsumentInnen (und Journalistinnen) etwa an demselben Zwiespalt, der mich selber immer wieder beschäftigte? Ein Zwiespalt, der, wie es scheint, keiner ist?
Einst war ich der Meinung, es gebe Labels und es gebe Marken (und auch Firmen). Marken einerseits sind kommerziell, sie sind Instrumente des Marketing, Labels, so mein Bild, seien dem schnöden Kommerz einigermassen entzogen, objektive Botschafter von Qualitäten, getragen von einem Zusammenschluss von Produzenten und allenfalls Verarbeitern. Von Botschaftern darf man wohl erwarten, dass sie Sachverhalte deutlich darstellen und nicht verwirren. Ich glaube es war Nicolai Fuchs, damals Geschäftsführer von Demeter Deutschland, der mir beibrachte, dass Labels auch ganz einfach Marken sind, Waffen im Konkurrenzkampf. Tatsächlich dauerte es nur noch kurze Zeit, bis ein Weinhändler mit einem eigenen Label aufwartete. Es nimmt heute den Spitzenplatz im Labelrating ein – nicht verwunderlich, denn er hat beispielsweise keine Probleme mit der Tierhaltung. (Und taucht bei ihm trotzdem einmal die rote Reblaus auf, wird er mit ihr artgerecht umgehen, nämlich sie nach Möglichkeit vernichten.) Inzwischen wurde immer deutlicher, dass auch die in den letzten Jahren neu lancierten Biolabels reinen Marketingüberlegungen entsprungen sind. Diesbezüglich unterscheiden sie sich von Waschmittelmarken nur graduell. Ebenfalls nur graduell unterscheiden sich die Produktionsrichtlinien der Biolabels.
Vielleicht gibt es aber doch einen Unterschied: Biolabels – im Unterschied zu Waschmittelmarken – enthalten ein Qualitätsversprechen, mit der Bioverordnung staatlich sanktioniert und von einem ganzen Apparat an Zertifizierungsinstitutionen garantiert. Von diesen Garantien wollen (müssen) alle profitieren, denn die Grundlage ist immer dieselbe Bioverordnung. Und das Ärgernis dabei? Obwohl man wissen könnte, dass Lidl-Biokartoffeln nicht schlechter sind als Coop-Biokartoffeln, wird Verwirrung beklagt. Welches ist das Ziel der Klage, für welche sich angesehene Zeitungen gerne immer wieder mal als Resonanzboden hergeben? Es würde mich nicht wundern, wenn nach ein paar Jahren der Klage der Ruf erfolgte, der Staat solle Ordnung schaffen (was vom Staat Dank der freundlichen Beratung durch Coop und Migros umgehend zurückgewiesen würde, ebenso wie weiland das Ansinnen, der Staat solle ein Biozeichen zur Deklaration kreieren).
Was tun? Halt wieder die nächsten Artikel über Labelsalat abwarten und schulterzuckend zur Kenntnis nehmen? Der Staat könnte die Schöpfer eines Biolabels wenigstens dazu verpflichten, ihre Unterschiede zu einer Benchmark auf der eigenen oder gemeinsamen Website offen zu legen. Der Link zu dieser Website wäre auf den Produktetiketten anzubringen. Nicht der Bund müsste also die Unterschiede aufzeigen, sondern jeder, der sich daran macht (oder gemacht hat), ein Biolabel zu lancieren. Jeder muss selber deklarieren, wodurch genau er sich unterscheidet. Die Korrektheit der Angaben wären durch die jeweilige Bio-Zertifizierungsorganisation zu bestätigen. Um ein solches Benchmarking durchzusetzen, wäre der zivilgesellschaftliche Druck der Konsumentenorganisationen hilfreich. Eine Organisation wie bionetz.ch könnte sich ebenfalls dafür einsetzen und logistische, fachliche und publizistische Unterstützung bieten. Marktwirtschaftskonform wäre eine solche Massnahme gewiss. Schliesslich gehört Transparenz zu den Kriterien des (vollkommenen) Marktes, dem in der Schweiz Verfassungsrang zukommt, der aber nur partiell durchgesetzt wird.
Ein Einwand liegt auf der Hand: mindestens ein Label-Rating gibt es ja schon. Weshalb doppelte Arbeit leisten? Na ja. Mit diesem Rating ursprünglich des WWF (erweitert durch Konsumenten- und Tierschutz u.a.m.), das damals beispielsweise die Bio-Pioniermarke „Rapunzel“ mit „besser als kein Label“ eingestuft hatte, hatten wir uns auf der bionetz.ch-Plattform verschiedentlich (zum Beispiel im Oktober 2010) auseinandergesetzt (Link zum Beitrag). Jener Kommentar ist nach wie vor gültig und ist vermutlich bis heute der meistaufgerufene Beitrag auf bionetz.ch geblieben. Es gibt zumindest ein wichtiges Argument gegen dieses Label-Rating, das sich übrigens nicht mehr auf Bio-Qualität, sondern auf mehrere weitere Gesichtspunkte bezieht: Es projiziert unterschiedlichste Kriterien auf eine einzige Skala und teilt mit begründbaren und doch willkürlichen Gewichtungen Gesamtpunktzahlen zu. Klar kann man begründen, weshalb man Flugtransporte mit Punktabzügen bestraft. Mit der Bio-Qualität eines Produktes hat dies trotzdem nichts zu tun. Wir (Peter Jossi und Matthias Wiesmann) schrieben damals u.a.:
Stellen wir uns zur Veranschaulichung die folgende Situation vor: Bei einer Anzahl von Menschen wird die Begabung untersucht. In der untersuchten Gruppe befindet sich ein Violinist von Weltformat. (Nebenbei: eigentlich wollte er gar nicht bewertet werden.) Es werden verschiedenste Fertigkeiten bewertet, von handwerklichem Geschick über Fremdsprachenkenntnisse bis hin zu athletischem Können. Musikalität war eines von 10 Kriterien. Die Durchschnittsbegabung des Spitzenviolinisten wird mit „mittelmässig“ bewertet, denn er ist nur musikalisch wirklich gut. Nun erleidet er das Schicksal, dass es üblich geworden ist – ob gewollt oder nicht – dass solche Ratingergebnisse in einem Atemzug mit dem Namen einer Persönlichkeit genannt werden (so etwa wie ein akademischer Titel). So taucht mittlerweile selbst in Konzertprogrammen die Beurteilung „mittelmässig begabt“ auf. Die echten Kenner wissen es natürlich besser, einige haben auch das Bewertungshandbuch gelesen und wissen zu differenzieren. Die meisten KulturkonsumentInnen haben aber nur eine „Shortlist“ bei sich. Und da steht halt: „mittelmässig“.
Zweifellos würde man mit einem solchen Projekt Wichtiges für die Bio-Idee gewinnen. Wer es voranzutreiben versucht, macht sich allerdings nicht nur Freunde. Würde man allenfalls sogar eigene Mitglieder vergraulen? Vielleicht ist es sinnvoller, weiterhin leise tretend den nächsten Biolabelsalat-Artikel abzuwarten, um diesen zwar mit einem schönen Salatbild, aber doch ohne eigene kräftige Farbtupfer wiederum auf der eigenen Website zu verlinken.