Klima: Auto schneidet besser ab
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- Erstellt: Dienstag, 15. November 2022 09:24
«Liberal», dafür faktenreich, ist Eichenberger auch den Verkehrsmitteln gegenüber, wie die folgende Kolumne in der Handelszeitung zeigt (online am 13.11.2022). Die geneigte Leserin wird aber feststellen, dass es nicht nur auf die Menge der Fakten, sondern auch auf deren Auswahl ankommt. Mein kurzer Kommentar folgt unten im Anschluss an Eichbergers phantasiereiche Rechnerei, die von einzelnen Lesern fälschlicherweise als Glosse oder Satire verstanden wurde.
FREIE SICHT (KOLUMNE)
Klima: Manch ein Auto schneidet besser ab als das Velo und der ÖV
In der Gesamtrechnung können ÖV und Velo klimaschädlicher sein als das Auto.
Von Reiner Eichenberger
Heute ist alles Klima. So wollen viele das Auto durch ÖV und Velo ersetzen. Sie glauben, Letztere belasteten die Gesellschaft weniger und seien klimaschonend.
Das ist falsch. Das Amt für Raumentwicklung (ARE) und das Bundesamt für Statistik (BFS) schätzen die Belastung der Allgemeinheit durch den Verkehr wegen Umwelt-, Klima-, Lärm-, Unfall-, Infrastruktur- und Betriebskosten akribisch. Wenn man ihre Zahlen pro Personenkilometer rechnet, kosten ÖV und Velo um ein Vielfaches mehr als das Auto. Nur bezüglich Umwelt und Klima schneiden ÖV und Velo besser ab. Aber das liegt weitgehend an der kreativen Buchführung von ARE und BFS.
Beim ÖV wird angenommen, er fahre mit Strom aus eigenen Wasserkraftwerken der Verkehrsbetriebe und sei deshalb praktisch klimaneutral. Doch dieser Strom könnte für anderes verwendet werden. Dafür müsste er aufs öffentliche Stromnetz geleitet werden. Als Folge würden automatisch andere Kraftwerke abgeschaltet. Das wären zumeist CO2-Schleudern irgendwo in Europa. So gerechnet fahren unsere Züge (und Elektroautos) also nicht mit sauberem, sondern mit stark klimabelastendem Strom.
In einer vernünftigen Ökobilanz müssen diese «Klimaopportunitätskosten» mitgerechnet werden. Leider ist dann das Reisen im ÖV oft klimaschädlicher als im Auto.
Beim Velo ist der amtliche Trick noch frivoler. Obwohl die ganze Debatte um Energie und Klima geht, wird das Velo als Perpetuum mobile behandelt. Doch Velofahrerinnen und Velofahrer brauchen zusätzliche Energie. Dafür müssen sie mehr essen, was das Klima belastet.
Sparsame Autos brauchen auf 100 Kilometer 5 Liter Benzin und verursachen so 12 Kilogramm CO2-Emissionen, also 120 Gramm pro Fahrzeugkilometer – und bei einer Besetzung mit 4 Personen 30 Gramm pro Personenkilometer. Velofahrende verbrauchen auf 100 Kilometer bei normaler Fahrt rund 2500 Kilokalorien (kcal). Den Energie- und Muskelverbrauch müssen sie durch zusätzliche Nahrungsaufnahme ausgleichen. So bräuchten sie für die 2500 kcal etwa 1 Kilo Rindfleisch. Das verursacht in der Produktion 13,3 Kilogramm CO2.
Fleisch essende Velofahrerinnen und Velofahrer verursachen also pro Personenkilometer 133 Gramm CO2 – das Vierfache des gut besetzten Autos. Wenn sie die Fahrenergie aus Milch gewinnen, verursachen sie pro Personenkilometer 35 Gramm CO2, also immer noch fast 20 Prozent mehr als das Auto. Leider gilt die klägliche Bilanz auch für Veganerinnen und Veganer.
Viele vegane Speisen sind erstaunlich CO2-intensiv. Gut fürs Klima sind eigentlich nur reine Nudelesserinnen und Nudelesser. Sie verursachen pro Personenkilometer etwa 12 Gramm CO2, also knapp die Hälfte des Autos. Aber leider werden sie bald Eiweissmangelerscheinungen haben.
Kommentar:
Eichenberger bezeichnet die Zahlen des BFS (Bundesamt für Statistik) und der ARE (Bundesamt für Raumentwicklung) als Ergebnis «kreativer Buchführung». Tatsächlich liegen die beiden Ämter in Sachen Kreativität weit hinter dem Herrn Professor. Als Anwohner einer sogenannten Quartiererschliessungsstrasse kann ich mir einen guten Eindruck von den tatsächlichen Verhältnissen verschaffen – beispielsweise in Bezug auf das 5-Liter-Auto, mit dem Eichenberger rechnet (gibt es hier nicht), oder mit der Auslastung der Autos mit vier Personen (gibt es ebenfalls nicht – jede/r hockt allein, höchstens zu zweit in seiner Karosse). Repräsentative Zahlen hätte sich Eichenberger beim Bundesamt für Statistik ohne weiteres beschaffen können, was unter dem Aspekt der Wissenschaftlichkeit angezeigt gewesen wäre. Grösste Kreativität entwickelt Eichenberger dann mit der Energierechnung für Velofahrer (mit Seitenhieb gegen vegane Ernährung). In meinem Leserbrief habe ich vorgeschlagen, statt einer zusätzlichen Belastung der Kilometerkosten infolge gesteigerter Nahrungsaufnahme (ist mir selber übrigens noch nie aufgefallen – allenfalls gesteigerter Durst) einen Abzug Dank tieferer Gesundheitskosten aufgrund von vermehrter Bewegung zu rechnen.
Doch auch Autofahrer brauchen Bewegung. Viele fahren ein paar Kilometer mit dem Auto, um dann mit dem Hund ein paar hundert Meter zu spazieren – nicht zu viert, alleine mit Hund (Wenn die Hälfte der in der Schweiz lebenden 544'000 Hunde nur zweimal pro Woche nur drei Kilometer zu ihrem Auslauf (hin und zurück) gefahren werden, dann resultieren jährlich 170 Millionen Kilometer oder mit einem 6-Liter-Auto – sehr oft wollen die Hunde in einem SUV fahren, eher also mehr als 6 Liter – über 10 Millionen Liter Sprit. So viel nur nebenbei zum Phänomen, das mir auf der Schwand/Münsingen wie auf der Allmend/Frauenfeld begegnete.) Wie ich als Anwohner eines Schulhauses mit Turnhalle beobachten kann, fahren die bewegungsbedürftigen Autofahrer (jeder für sich) abends zur Turnhalle, um dann spätabends in einer endlosen Kolonne von da wieder wegzufahren (jeder für sich), nach Hause, wo sie dann vielleicht ihre Sonderration Pommes und zwei, drei Bier vertilgen, um den Energie- und Flüssigkeitshaushalt zum Ausgleich zu bringen. Das müsste Eichenberger ebenfalls in Betracht ziehen.
Eichenberger kann sich nach seiner schrägen Rechnerei mit seinem Titel herausreden: «Manch ein Auto schneidet besser ab als das Velo und der ÖV. In der Gesamtrechnung können ÖV und Velo klimaschädlicher sein als das Auto.» Ja, Eichenberger behauptet nicht, dass der Autoverkehr (der im Freizeitbereich am meisten Kilometer erzielt) grundsätzlich besser als Velo und ÖV abschneiden.
Nach der Lektüre eines solchen Textes frage ich mich, ob Professorentitel tatsächlich nur verliehen werden sollten. Verleihen, nicht verschenken auf Lebenszeit. Verleihen bedeutet, dass etwas auf Widerruf vergeben wird – etwa so wie die Approbation eines Arztes. Wenn ein Professor die Regeln wissenschaftlicher Auseinandersetzung krass verletzt, wie im vorliegenden Fall, sollte der Titel entzogen werden. Auch einer Hochschule kann es ja nicht ganz egal sein, welchen Unsinn seine Professoren verbreiten.