Wie man Verschwörungstheoretiker wird
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- Erstellt: Mittwoch, 04. April 2018 20:56
Mit 5 Nachträgen am Schluss des Beitrags.
Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur: Nach dem Giftgasanschlag auf einen Ex-Spion in England gilt für die meisten westlichen Regierungen Russland als Täter. Eine einigermassen plausible Indizienkette wurde bisher nicht publiziert. Der türkische Ministerpräsident Erdogan beschuldigt seinen früheren Kampfgefährten Gülen, einen Putsch gegen ihn angezettelt zu haben. Auch hier gibt es keine nachvollziehbaren Begründungen. Verheerende Folgen bis heute hatte die Behauptung der amerikanischen und britischen Regierung, Saddam Hussein verfüge über Massenvernichtungswaffen. Der angerichtete Schaden durch die Kriege seither ist immens. Immerhin wurde diese Verschwörungstheorie später entlarvt. Seit einiger Zeit sieht Viktor Orban in George Soros den Schuldigen hinter allem in Ungarn, was nicht in seinem Sinne läuft. Exakte Belege dafür sind uninteressant.
Verschwörungstheorien? Diesen vier Verschwörungstheorien ist gemeinsam, dass der Begriff Verschwörungstheorie für sie nie verwendet wird.
Derzeit wohl am häufigsten werden die Angriffe auf das World Trade Center (9/11) im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien gebracht – hier insbesondere eine Einzelperson: Daniele Ganser. Diese Gegenüberstellung zeigt ein Faktum: Wer im Besitz der Macht ist, wird (auch von Dritten) kaum als Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt. Das Attribut Verschwörungstheoretiker wird nur für Einzelpersonen oder Gruppen verwendet.
Der Begriff Verschwörungstheorie dient in diesem Zusammenhang der Marginalisierung oder Ausgrenzung. Marginalisierung hat (unter anderem) den Zweck, sich mit den Argumenten der sogenannten Verschwörungstheoretiker nicht auseinandersetzen zu müssen. Mit dieser Feststellung ist, wie die erwähnten Beispiele deutlich machen, keine Aussage über den Wahrheitsgehalt gemacht. Sie betrifft nur den mehr oder weniger klar intendierten Mechanismus, eine Art Mobbing im öffentlichen Raum. Am konkreten Beispiel einer Publikation der Sonntags-Zeitung zeigte Urs P. Gasche sehr gekonnt auf, wie dieser Mechanismus funktioniert – hier in Kürze die einzelnen Schritte, die Gasche ausgemacht hat: 1. Man setze neben den Artikel emotionalisierende Bilder, die falsche Assoziationen wecken. 2. Man hänge jemandem eine negative Etikette an und wiederhole sie so oft, dass die Leserschaft geneigt ist, die Etikette zu übernehmen (Beispiel: Verschwörungstheoretiker). 3. Man schiebe dem zu Kritisierenden Aussagen in den Mund, welche dieser nie gemacht hat, und bezeichne diese dann als falsch oder dumm. 4. Man schiebt der Person, die man medial angreift, Aussagen Dritter in den Mund. (Hier der ganze Info-Sperber-Beitrag)
Verschwörungstheoretiker wird man nicht von heute auf morgen. Zuerst wird das Attribut «umstritten» verliehen. So bezeichnete der Arena-Moderator Projer Daniele Ganser in der Gäste-Vorstellung der Sendung vom 24. Februar 2018. Auf der SRF-eigenen Website ist dazu zu lesen: «“Arena“ ging beim Thema „Glaubwürdigkeit der Medien“ zu weit.» In den dazu gehörenden Ausführungen unter diesem Titel folgt: «Die übrigen Hauptpersonen wurden neutral mit ihrer Haupttätigkeit vorgestellt, Ganser dagegen als „umstrittener Publizist“. Damit habe sich die Redaktion bei den übrigen Gästen referierend verhalten, im Bezug auf Ganser aber kommentierend. Das sei nicht sachgerecht, schreibt Ombudsmann Roger Blum.»
Dass Massenblätter wie die Sonntagszeitung effektvoll Mobbing betreiben, ist nur ein Teil des Prozesses. Perfekt wird er, wenn auch «kritische» Medien, wie die Basler TagesWoche ins selbe Horn blasen. (Hier der TagesWoche-Beitrag) Alles zusammen wirkt. Am 12. Februar 2018 meldete der Tages Anzeiger: «Axa schliesst Daniele Ganser aus Vortragsreihe aus. Der Versicherungskonzern zieht sich als Sponsor eines Vortrages von Daniele Ganser zurück. Statt vier Rednern hat die Vortragsreihe [in Winterthur] nur noch drei.» (Hier der TagesAnzeiger-Beitrag)
TagesWoche und eine Plattform wie «Geschichte der Gegenwart» helfen – durchaus distinguiert (d.h. mit wissenschaftlichem Anspruch) die Zielperson zu demontieren. – Philippe Wampfler übt hier wissenschaftsmethodische Kritik an der Buchpublikation im Orell Füssli-Verlag, die – so meine ich – eine überarbeitete Fassung von Gansers Dissertation ist; Vorwort: von Gansers Doktorvater Georg Kreis. «[Die Richtigkeit der Aussagen] zu überprüfen fällt aber schwer, weil Ganser seine Arbeiten nicht zur wissenschaftlichen Prüfung anbietet und nicht mit wissenschaftlichem Quellenmaterial arbeitet.» Wie konnte Kreis diese Arbeit als Dissertation entgegennehmen, wenn sie nicht mit wissenschaftlichem Quellenmaterial arbeitet? Als Autor ist mir das Problem vertraut: selbst wenn man akribisch recherchiert und viele Quellen nutzt, will man den Lesefluss eines nicht primär wissenschaftlich orientierten Publikums möglichst nicht mit zu vielen Fussnoten bremsen.
Weitere Dimensionen bringt Felix E. Müller, mittlerweile pensionierter Chefredaktor der NZZ am Sonntag in den Diskurs ein. Neu ist beispielsweise, dass es nicht nur um Wahrheit geht, sondern mindestens ebenso sehr um die Frage: wem nützt sie? So schreibt er in einem Artikel vom 21. Januar 2018 über Ganser: «Es geht fast immer darum, den Westen der Lüge zu bezichtigen und moralisch auf die gleiche Ebene wie Russland zu stellen, was im Ergebnis den politischen Absichten Putins hilft.» (Dann also aus patriotischem oder prowestlichem Pflichtgefühl lieber nichts über Lügen des Westens schreiben, um nicht Putin zu helfen. Oder ist Felix E. Müller der Meinung, westliche Lügen gebe es nicht?)
Und dann begeht Felix E. Müller den Fehltritt des Holocaust-Vergleichs. Fehltritt, weil solche Vergleiche fast immer daneben gehen. Er schreibt in einem Brief an mich: «Zu behaupten, die Regierung der USA sei Drahtzieherin dieser Anschläge gewesen, postuliert eine Verschwörung des Weissen Hauses gegen die eigene Bevölkerung.» Behauptet das Ganser wirklich? Und weiter: «Das Verfahren, mit dem Ganser (und andere) historische Gewissheiten infrage zu stellen versuchen, ist stets dasselbe. Man greift sich im Namen eines wissenschaftlich neutralen Forschungsansatzes ein Detail heraus, um eine Lücke in der Beweiskette für die Erklärung eines wichtigen Ereignisses zu konstruieren, worauf sich dann folgern lässt, dass auch die Erklärung des Ganzen nicht stimmen könne. So gehen übrigens auch die Holocaust-Lügner [Müller wollte wohl von Leugnern schreiben] vor. Sie „beweisen“ etwa, dass die „angeblichen“ Gaskammern weder über eine Lüftung noch eine Abdichtung verfügt hätten und deswegen nicht für die Vergasung von Menschen gebaut worden seien. Mit angeblich oder tatsächlich fehlenden Dichtungen kann man so den ganzen Holocaust als Fiktion darstellen.»
Hier versagt das Differenzierungsvermögen von Felix E. Müller. Der Holocaust ist ein Ereignis, das Jahrzehnte zurückliegt, eine Regierung, die in der Lage gewesen wäre, die Informationen über dieses Ereignis zu kontrollieren, gab es nicht. Im Gegenteil: Es war das Anliegen der Siegermächte, der Forschung alles zugänglich zu machen, um die Schrecken der nationalsozialistischen Diktatur aller Welt deutlich zu machen. Hunderte von Geschichtswissenschaftern befassten sich mit diesen Ereignissen. Sie sichteten nicht nur Dokumente, sondern befragten unzählige Zeitzeugen. Alles ohne nennenswerte Behinderungen. Im Gegensatz dazu 9/11. Hier setzte die Regierung eine Untersuchungskommission ein. Die Dokumente waren nicht offen zugänglich. Wichtige Dokumente zur Rolle Saudiarabiens wurden auf gerichtliche Anordnung erst 2016 publiziert. (Bekanntlich ist Bin Laden saudischer Staatsbürger.)
Den Einsturz des WTC7 genannten Hochauses in plötzlichem, symmetrischem freien Fall, ohne äussere Einwirkung, als Lücke in der Beweiskette wie die angeblich fehlenden Gaskammernabdichtungen zu bezeichnen, lässt überdies einen Sinn für Grössenordnungen vermissen. Die von Ganser immer wieder erwähnte Frage nach den Ursachen dieses Einsturzes oder Zusammensackens ist meines Wissens keine Erfindung des «Verschwörungstheoretikers» Ganser. Zahlreiche Bauphysiker und Experten anderer Fachrichtungen haben die Frage erörtert (beispielsweise die Architects & Engeneers for 9/11 Truth, 2342 Shattuck Avenue Suite 189, Berkeley, CA 94704 in der Studie, die auf Deutsch unter dem Titel «Jenseits der Täuschung. Was die Wissenschaft über die Zerstörung der Gebäude 1, 2 und 7 des World Trade Centers zu sagen hat.» Die englische Ausgabe erschien 2016. Die deutsche Überstzung ist hier zu finden).
Wie immer im Zusammenhang mit Holocaust-Vergleichen ist der Zweck, jemanden oder eine Gruppe auszugrenzen. Dies wiederholt sich in Müllers NZZaSo-Beitrag, wenn er schreibt: «In der Szene der alternativen Medien in Deutschland ist Ganser eine bekannte Figur. Eine ganze Boutique-Publizistik à la Breitbart hat sich dort in den letzten Jahren entwickelt, mit Websites, die KenFM heissen oder Rubikon, wo er im Beirat sitzt.» Die Erwähnung von Breitbart unmittelbar nach der Erwähnung von Ganser ist gezielte Konnotation. Wer will den mit Breitbart ins selbe Boot gesetzt werden!
Ganser als Beispiel
In diesem Beitrag geht es nicht um eine Ehrenrettung oder Rechtfertigung von Daniele Ganser. Dafür wäre ich auch zu wenig kompetent, kenne ich Ganser doch nur von zwei Vorträgen. Gelesen habe ich nur sehr wenig von ihm. Mir geht es um die Art der Auseinandersetzung mit einer Person, die weder die Meinung der Mainstream-Medien vertritt, noch deren Gegenteil. Hier versagen die üblichen Argumentationsschablonen. Das macht hilflos – und aggressiv. Diese Aggression führt zur erwähnten Ausgrenzung. Ausgrenzung führt oft zu einer weiteren Eigendynamik: Das Beispiel Axa macht Schule. Die betroffene Person wird nicht mehr von mehr oder weniger etablierten Institutionen eingeladen. Eingeladen und zitiert wird sie tendenziell nur noch von Kreisen, die als extremistisch gelten. Wie weit die betroffene Person diesem Sog erliegt, hängt stark von ihr selber ab. Ganser scheint hier allerdings wenig Berührungsprobleme zu haben – leider.
Nachtrag 1 am 7. April 2018: Was ist eine Verschwörungstheorie?
Das Tages Anzeiger-Magazin bringt einen Vorabdruck aus Roger Schawinskis nächstens erscheinendem Buch «Verschwörung! Die fanatische Jagd nach dem Bösen in der Welt». Darin ist folgende Passage zu finden:
«In seiner abgelehnten Habilitationsarbeit widmete sich Ganser der These von Peak Oil, gemäss der die Förderung von Öl in naher Zukunft einen Höhepunkt erreichen werde, um danach stark abzufallen, was zu gewaltigen politischen Verwerfungen in Form von Ressourcenkriegen führen müsse. Doch die Ereignisse –unter anderem gewaltige neue Ölfunde, zusätzliche Fördermethoden und das Aufkommen der erneuerbaren Energien – widerlegten und diskreditierten diesen verschwörungstheoretischen Ansatz.»
Was also ist ein verschwörungstheoretischer Ansatz? Wer hat sich da wozu verschworen? Oder ist vielleicht jede Prognose – ob falsch oder richtig – eine Verschwörungstheorie? Senden Sie Ihre Vermutung an meine Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!!
Nachtrag 2 am 12. April 2018 von Philippe Wampfler: eine Verwechslung
«Ich muss korrigieren – Gansers Dissertation erfolgte zu Gladio. Hier ist sie im englischen Original greifbar: https://libcom.org/files/NATOs_secret_armies.pdf. Der hier [im Blog von Ph.W.] besprochene Text ist die neueste Publikation von Ganser.»
Nachtrag 3 am 12. April 2018: Wie ein Journalist dem bereits etwas ausgetretenen Pfad folgt
Lead zum Interview von Jonas Manser (St. Galler Tagblatt online vom 12.4.2018) mit Sigmar Willi:
«Für den Networking-Tag hat die Fachhochschule St.Gallen den Verschwörungstheoretiker Daniele Ganser als Referenten eingeladen. Sigmar Willi, Leiter FHS Alumni und Verantwortlicher des Networking-Tags, sagt im Interview, wieso der umstrittene Historiker ausgewählt wurde.»
Frage von Jonas Manser:
«Es ist anzunehmen, dass die FHS als Ausbildungsstätte Wahrheiten verbreiten möchte, die auf wissenschaftlich erarbeiteten Ergebnissen beruhen. Steht Ganser mit seinen Theorien nicht im Widerspruch dazu?»
Frage von Jonas Manser:
«Sie haben behauptet, dass die Einladung Gansers dem Ruf der FHS nicht schaden würde. Universitäten in St.Gallen, Basel oder Zürich haben sich mittlerweile vom umstrittenen Historiker getrennt. Was halten Sie davon?»
Die Antworten von Sigmar Willi habe ich weggelassen, da sie kaum etwas zur hier diskutierten Thematik beitragen.
Nachtrag 4 am 13. April 2018: «Verschwörungstheoretiker» – Untersuchung eines Schlagwortes auf Infosperber von Helmut Scheben
Nachtrag 5 am 14. April 2018: Ganser verliert Lehrauftrag
«Die Meldung kam dieser Tage nicht überraschend und doch ist sie bemerkenswert, weil sie erahnen lässt, wie es um die freie, unabhängige Wissenschaft bestellt ist: Der Schweizer Historiker und Friedensforscher Dr. Daniele Ganser verliert seinen letzten öffentlichen Lehrauftrag an der Universität St. Gallen. Der dafür verantwortliche Professor Caspar Hirschi erklärte sogleich in einer Stellungnahme gegenüber der Aargauer Zeitung, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen seiner Entscheidung und der massiven medialen Kritik an Gansers brisanten Forschungen unter anderem zu 9/11 gebe.» Quelle: www.rubikon.news/artikel/der-furchtlose, 11.4.18