Konkurs – gäbe es Alternativen?
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- Erstellt: Mittwoch, 04. Januar 2023 17:35
Ausdruck einer Entwicklungstendenz ….
Die Bilanz der Müller Reformhäuser inklusive der in den letzten Jahrzehnten integrierten weiteren Unternehmen wurde deponiert. Betroffen sind knapp 300 Mitarbeitende in 37 Filialen in 17 Schweizer Städten. Ein Kahlschlag in der schweizerischen Reformbranche. «Wir haben seit 2016 50 Prozent der Kundschaft verloren», kommentierte der Geschäftsführer. Ihre Wurzeln hatten die Reformhäuser in der Lebensreformbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Diese war eine Gegenbewegung zur Industrialisierung und Entfremdung von allem, was mit Natur zu tun hat. Deshalb machten sich die Reformhäuser mit möglichst wenig verarbeiteten (raffinierten), gesunden Nahrungsmitteln stark. Lange bevor es Müller-Reformhäuser gab, nämlich 1899, eröffnete Amalia Egli ihr Reformhaus in Zürich. Das Ziel der Gesundheit manifestierten die Reformhäuser u.a. im Ausschluss von Alkohol und Fleisch aus dem Sortiment. Diese Gesundheits-Idee, die mit dem Grad der Verarbeitung verknüpft war, war so dominant (und in diesem Marktsegment) auch erfolgreich, dass die Reformhäuser die Bio-Welle der 1980er Jahre etwas verschliefen. Sie hatten durchaus auch Bioprodukte im Sortiment. Trotzdem wurden sie von den neu gegründeten Bioläden gewissermassen rechts überholt. Da und dort zeigte sich die Reformphilosophie in einem etwas schiefen Licht, als Reformhäuser nach der Tschernobyl-Katastrophe massiv auf büchsenverpacktes (konventionelles) Milchpulver setzten. Sie sprachen damit besonders deutlich einen ängstlichen Gesundheitsegoismus an – im Unterschied zu den aufkommenden Bioläden, welche Produktionsweise und Ökologie in den Mittelpunkt rückten. Da half den Müller-Reformhäusern auch der Versuch mit der bemüht trendigen Bezeichnung «Vital Shop» nicht weiter.
Dass Reformhaus Müller die Positionierung eher im Gesundheits- als im Lebensmittelbereich beibehielt, hat wohl auch mit dem «Arbeitsmittelpunkt» des Hauptaktionärs Dr. Christoph Müller, zu tun, der Herausgeber der «Schweizer Hausapotheke» ist, einem Magazin für KonsumentInnen, das ihre 1/1 Werbeseite für über 17'000 Franken verkauft – vermutlich die «Cashcow», welche Müller die verschiedenen Akquisitionen ermöglichte. Unter der Vielzahl von Tschans aktiven Mandaten befindet sich z.B. auch die Natural Power Distribution AG, die mit Nahrungsergänzungsmitteln handelt. Der Hauptaktionär der konkursiten Reformhauskette ist vielleicht ein für die Sache der Gesundheit engagierter Pionier, sicher aber ebenso ein kühl rechnender Investor, der zugunsten seiner übrigen finanziellen Engagements eine Verlustquelle schliessen muste.
Dass Reformhausunternehmen und -gruppen (wie Egli, Ruprecht, Haas) in die Reformhaus Müller AG integriert und nicht unter einem Holdingdach als selbständige Gesellschaften geführt wurden, ist heute ein riesiger Nachteil, da nun sowohl besser laufende wie Verlustgeschäfte gleichermassen in der Konkursmasse landen und Versuche, Einzelteile herauszulösen und weiterzubetreiben allenfalls erst nach Durchführung des Konkursverfahrens möglich wird. Ob die Teams solcher Läden (und deren Lokalvermieter) einen so langen Schnauf haben, ist fraglich.
…. und grundsätzliche Ideen zum Umgang mit solchen Entwicklungen
Eigentlich sind die die folgenden Überlegungen ebenso ortsspezifisch wie grundsätzlich. Ansatzpunkte des Handelns sind immer spezifisch, nicht grundsätzlich.
Mein Ausgangspunkt ist meine Mitgliedschaft im Vorstand der Genossenschaft des Bioladens Frauenfeld, kaum war ich 2009 hierher gezogen. Der Bioladen schrieb zwar schwarze Zahlen, der Umsatz war aber rückläufig. Es war absehbar, dass die Rechnung irgendwann nicht mehr aufgehen würde. Ein wesentliches Problem schien uns die viel zu kleine Ladenfläche, mit der es schwierig war, ein attraktives Sortiment zu präsentieren. Die Diskussionen um die Zukunftsperspektiven führten zu Konflikten, sowohl im Vorstand als auch in der Ladenführung. Schliesslich wurde die Genossenschaft und damit der Laden liquidiert. Für Anschlusslösungen wurde gesorgt, einerseits mit einer Teilübernahme des Sortiments durch die Reformdrogerie Haas, die später von Müller übernommen wurde und nun in Liquidation ist. Andererseits wurde ein Gemüseproduzent gefunden, der seinen Marktwagen vor der Reformdrogerie aufstellte und Produkte der «grünen Linie» verkaufte. Später verschwand dieser Marktwagen wieder. Dafür gab es neue Initiativen: Ebenfalls in der Altstadt eröffnete ein «Regioladen» mit der Anmutung von Bioläden in den 1980er Jahren. Das Sortiment war «regional», nicht grundsätzlich bio. Sodann er-öffnete ein «Unverpacktladen», womit ein zweiter Einzeltrend aufgegriffen wurde. Schliesslich erweiterte der Laden der Stiftung für Menschen mit Unterstützungsbedarf «Stift Höfli», der bislang Blumen verkauft hatte, sein Sortiment. Hier, vor den Toren der Migros sind nun auch Lebensmittel erhältlich, teilweise in Bioqualität. Zu erwähnen ist vielleicht auch noch der claro-Laden, der keine Frischprodukte führt – ausser einem ganz kleinen Sortiment an Backwaren von Biobeck Lehmann. Inzwischen hatte der Regioladen bereits wieder geschlossen. Nun auch das Reformhaus Haas. Wer sich mit dem gesamten Sortiment in Bioqualität eindecken will, die ein Haushalt benötigt, ist nun (neben dem Wochenmarkt) ganz auf Coop und Migros angewiesen. Einige Produkte, die er hier nicht findet, muss er sich in Winterthur oder Weinfelden besorgen.
Diese verschiedenen Angebote, die immer nur Teilangebote waren oder sind, sind willkommen und gut. Aber das Gute ist der Feind des Besseren. Wenn jemand neu einen Bioladen eröffnen wollte, würde er das notwendige Volumen kaum zusammenbringen, weil dieses derzeit allzu zersplittert ist.
Etwas, das in dieser Entwicklung völlig gefehlt hat, ist die Kommunikation. Selbstverständlich ist es in der Marktwirtschaft jedermann unbenommen, nach Lust und Laune und finanziellem Vermögen ein Geschäft zu eröffnen. Während es einstmals bei Restaurants eines Bedarfsnachweises und einer staatlichen Bewilligung bedurfte, sind solche Regulierungen längst weggefallen. Der Markt reguliert sich selber – halt allenfalls per Konkurs und Massenentlassung. Sind Alternativen denkbar?
Hier beginne ich nun zu phantasieren: Nehmen wir einmal an, die damalige Bioladengenossenschaft hätte nur den Betrieb eines Ladens, nicht aber die Trägergenossenschaft liquidiert; nehmen wir einmal an, diese Genossenschaft, deren Mitglieder vor allem KonsumentInnen waren, hätte sich als «Anwältin» für eine gute Versorgung mit Bioprodukten gesehen und in der Öffentlichkeit profiliert; nehmen wir einmal an, diese Genossenschaft wäre von Produzenten um Rat zu Absatzmöglichkeiten angegangen worden; sie wäre auch von Interessierten an Ladeninitiativen angefragt worden usw. Es wäre durchaus denkbar gewesen, dass die Genossenschaft so etwas wie ein Kommunikationszentrum oder Moderatorin für Bedürfnisse und Initiativen hätte werden können.
Unsere Wirtschaft leidet gewiss an verschiedenen Krankheiten, deren Ursachen oft unter dem Stichwort «Kapitalismus» zusammengefasst werden. Die «Überwindung des Kapitalismus» gemäss entsprechenden Parteiprogrammen bewirkt allerdings noch keine Versorgungslösungen. Verbesserungen bedürfen der Kommunikation unter denen, die Bedürfnisse haben (Bedürfnis nach Absatz produzierter Waren und Bedürfnisse nach Konsum solcher Waren). Der Markt verkörpert eine allzu anonymisierte und abstrakte Form von Kommunikation. Ein wie auch immer konstituierter Marktrat, der auf Informationen und Urteilskompetenz aufbaut und MarktteilnehmerInnen miteinander in Verbindung bringen und beratend begleiten kann, darüber hinaus aber weder anordnen noch verbieten kann, könnte unterstützend, modifizierend oder abratend wirken oder parallele Initiativen zusammenbringen. In der aktuellen Konkurssituation hätte er sich vielleicht für eine Initiative starkmachen können, die das bestehende Geschäft Haas herauslöst (falls die Geschäftsergebnisse eine Herauslösung als sinnvoll erscheinen lassen).
Die Beschreibung eines solchen Marktrats mag Ansatzmöglichkeiten einer «kommunikativen Wirtschaft» deutlich machen, die in anthroposophischer Terminologie als «assoziative Wirtschaft» bezeichnet wird.