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Erstellt: Samstag, 20. August 2022 15:56
Vor kurzem brachte Radio SRF eine Sendung zur Knappheit des Wohnungsangebots. Wieder einmal wurde auf den steigenden Wohnflächenbedarf fokussiert. Die Leser-Kommentare zur Sendung machten ausschliesslich die Zuwanderung zur Verursacherin aller Probleme. Ablenkungsmanöver gelungen. Nicht der Wohnflächen- sondern der Bodenflächenkonsum ist die ausschlaggebende Grösse. Am Beispiel illustriert: Nicht die Penthousewohnung zu 200 m2 auf einem Hochhaus, sondern das freistehende Einfamilienhaus führt zur Zersiedelung. Etwa gleichzeitig berichtete die NZZ von einer UBS-Studie, die zeigt, wie Private von öffentlichen Investitionen profitieren können. Der Titel: «Wenn sich die Pendlerzeit verkürzt, steigt der Wert der Liegenschaften. Wer in Immobilien investieren will, tut gut daran, neue Infrastrukturvorhaben zu berücksichtigen». Das ist die vornehmere Version des oft zitierten Spruchs von der Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste (beziehungsweise in diesem Fall der Investitionen): Wer von der Investitionen der Allgemeinheit profitieren will, soll in Immobilien investieren.
Das Bild aus einer Zeitung lässt das Problem des Flächenkonsums schnell sichtbar werden: Am oberen Rand des Bildes ein paar Mehrfamilienhäuser mit schätzungsweise 50 Wohnungen. Darunter auf viel grösserer Fläche Ein- und Zweifamilienhäuser mit grosszügig geschätzten 40 Wohnungen.
Die Siedlungsfläche nahm gemäss Arealstatistik von 1985 bis 2009 um 23 Prozent zu. Dabei beanspruchte der Bau von Ein- und Zweifamilien-häusern mitsamt ihrem Umschwung am meisten Platz: Während derselben Zeit wuchs die Bevölkerung um 17.5 Prozent und vergrösserte sich die für Wohnbauten benötigte Fläche um 44.1 Prozent. Die beanspruchte Wohnfläche nahm damit zweieinhalb Mal so schnell zu wie die Bevölkerung. Das Bedürfnis nach grösseren Wohnungen, der Trend zu kleineren Haushalten und die erhöhte Mobilität mit Wunsch nach mehr Parkplätzen sowie Strassen führten zu einem starken Wachstum des Bodenverbrauchs. (Quelle: Netzwerkraumplanung.ch)
Die Folgerung ist klar: der Bodenkonsum der Wohnform von etwa der Hälfte der Schweizer ist äusserst luxuriös, um nicht zu sagen parasitär. Kommt dazu, dass ein Grossteil dieser Häuser nur von einer oder zwei Personen bewohnt ist.
Ende 2017 wurden in der Schweiz 1,7 Mio. Gebäude mit Wohnnutzung sowie 4,5 Mio. Wohnungen gezählt. Über die Hälfte der Gebäude waren Einfamilienhäuser, und in 46% dieser Gebäude lebten nur eine oder zwei Personen. Eine Wohnung war durchschnittlich 99 m2 gross und verfügte über 3,8 Zimmer.
Und für diejenigen, welche alle Probleme bei der Einwanderung sehen, noch folgende Anmerkung:
Die durchschnittliche Wohnfläche pro Person in ausländischen Haushalten mit mehr als einer Person lag bei 31 m2. In Haushalten, deren Mitglieder alle Schweizer sind, betrug die Fläche pro Person 44 m2. (Lignum 6.11.2018). Die Expats ausgenommen, dürfte sich die grosse Mehrheit der Ausländer in Mehrfamilienhäusern mit entsprechend kleinerem Bodenkonsum niedergelassen haben.
Die Folgerung aus dem exzessiven Flächenverbrauch:
Es muss verdichtet werden. Hier herrscht weitgehend Konsens. Allerdings gibt es meines Erachtens die Tendenz, dass da verdichtet wird, wo die Bebauung ohnehin schon relativ dicht ist.
Was heisst dicht?
Angaben dazu liefert ein Instrument des Bundesamts für Statistik, das ein Netz von einer Hektar (= 100x100 Meter) über besiedelte Gebiete legt und die Anzahl Wohnungen pro Quadrat zählt. Als sehr dicht kann man Gebiete mit über 200 Wohnungen pro Hektar bezeichnen (z.B. in Zürich Wipkingen, keine Hochhäuser!)
Wo etwa liegt das «untere Ende» der Dichte? Ich habe zur Beantwortung der Frage die Grafik des Bundesamts für Statistik aus meiner Nachbarschaft, dem «Kanzler» ausgewählt, ein Quartier, das in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entstanden ist (Bild links). Hier wurde sehr grosszügig mit dem Umschwung umgegangen. Je dunkler der Bereich, desto höher die Dichte. Sieben Wohnungen pro Hektar sind sehr wenig. Oben links, versehen mit der Zahl 39 sind die Mehrfamilienhäuser des Bildes rechts zu sehen.
Dieses zeigt Mehrfamilienhäuser einer Wohnbaugenossenschaft aus den 1950er Jahren in Frauenfeld. Sie erreichen etwa 40 Wohnungen pro Hektar. Sie sollen abgerissen und verdichtet neu gebaut werden.
Doch auch im Hüsli-Quartier wird verdichtet. Wo diese drei Häuser stehen, stand zuvor ein einziges. Doch mit dieser Bauweise werden 15 Wohnungen pro Hektar wohl kaum überschritten.
Die Paradoxie des Wohnungsbaus: die höchste Dichte in Frauenfeld dürfte mit gegen 100 Wohnungen pro Hektar zwischen den beiden Hauptverkehrsachsen Bahnhofstrasse und Zürcherstrasse erreicht werden. Lärm gehört zwar zu den Ursachen von Volkskrankheiten (Herz, Kreislauf u.a.m.) Das hat aber keine Auswirkung auf den Wohnungsbau. Hier dominiert der Gesichtspunkt der Rendite auf dem investierten Kapital.
Weniger lärmexponiert ist eine Wohnüberbauung im Zentrum von Uster, nahe beim Bahnhof. Ist das die Alternative? (Uster ist grösser als Frauenfeld, aber gleichfalls eine Kleinstadt. Dieser Wohnungsbau, der auf Zürich-Pendler abzielt, wirkt allerdings überhaupt nicht kleinstädtisch.)
Kann / darf man die Entwicklung ganz allein den Haus- bzw. Grundstückeigentümern überlassen? Im Bereich Wirtschaft kennt man die Institution der Standortförderung. Es wäre wohl gut, wenn die Städte auch eine aktive Funktion der Siedlungsentwicklung installieren würden, um zu erreichen, dass der Mietwohnungsbau nicht an die Standorte mit den schlechtesten Umgebungsqualitäten verwiesen wird.
Grossmassstäbliche Zersiedelung
Früher hatten strategische Überlegungen (z.B. Lage der Stadt Bern geschützt in der Aareschleife) und die wirtschaftliche Dynamik (Ressourcen, Verkehrswege) gewissermassen von selbst raumplanerisch gewirkt. Die geringe Mobilität bis Mitte des 19. Jahrhunderts sorgte dafür, dass Arbeits- und Wohnort nicht zu sehr auseinandergerieten.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts (Eisenbahnbau) änderte dies.
Ab den 1920er Jahren nach dem Motorfahrzeugbestand deutlich zu
1920 ca 20'000 Mfz, davon fast die Hälfte Motorfahrräder
1930 über 6x mehr Mfz. – 1950 12x mehr.
Ab etwa 1960 wurden die Autobahnen wichtig. Bestand 860'000 Mfz – 1970 doppelt so viele – 2020 über 6.5 Mio Mfz.
Während noch 1990 über 40% ihren Arbeitsplatz innerhalb der Wohngemeinde hatten, waren es 2019 weniger als 30%.
Die grossen Pendlerbewegungen haben neben den problematischen Folgen der Zersiedelung auch problematische soziale Folgen. Während von Immigranten Integration gefordert wird und Einbürgerungswillige unzählige Details der Wohngemeinde kennen müssen, stellt eine Gemeinderätin einer Thurtaler Gemeinde fest:
«Es gibt die Alteingesessenen, welche die zahlreichen Angebote vermissen [Einkaufsmöglichkeiten im Dorf, gestorbenes Vereinswesen] und die vielen Neuzuzüger, die sich gegen aussen orientieren. Sie wohnen nur hier – das wichtigste für sie ist der Autobahnanschluss, nicht das Dorfleben.»
Während das Motorfahrzeug die Besiedelung in die Fläche ausdehnte, leistete dies die Eisenbahn, konkreter: das S-Bahnsystem, entlang der bestehenden Eisenbahn-Verkehrsachsen. Raumplanerische Überlegungen spielten beim Eisenbahn-Ausbau (insbes. S-Bahn-Netze) keine Rolle.
Nicht nur Auto und Bahn leisten ihren fatalen Beitrag zum Wachstum der Besiedelung in die Fläche hinaus, sondern auch das Internet, konkreter: Die Immobilienplattformen.
Darauf kam ich, als ich einen Bekannten, einen Zürcher, fragte, wie er dazu gekommen sei, nach Gachnang zu ziehen. (Gachnang liegt an der Westgrenze des Kantons Thurgau) Das sei der einzige Ort gewesen, wo er einen bezahlbaren Bauplatz gefunden habe.
Bei solchen Selektionskriterien muss man sich nicht wundern, wenn die neuen Einwohner keine Beziehung zum Dorf entwickeln.
Zu guter letzt
Die Thurgauer Zeitung publizierte kürzlich einen Artikel, der als Plädoyer für die Öffentlichkeit der Seeufer gelesen werden kann. 2/3 der an den See grenzenden Grundstücke sind in Privatbesitz. (Das betrifft die Schweiz. In Vortarlberg gibt es kein privates Grundstückeigentum am See.) Es wurde daran erinnert, dass 1920 ein politischer Vorstoss zur Verbesserung des Zugangs zu den Seeufern unternommen wurde, «denn das liege im hohen Interesse der öffentlichen Wohlfahrt» (!). 2019 machte die Justizdirektorin «ihrem Unmut auf Facebook Luft, nachdem sie über eine Stunde entlang des Untersees spazierte, ohne das Ufer beziehungsweise das Wasser erreichen zu können.» Mit einem Leserbrief wollte ich diese Publikation beziehungsweise die Justizdirektorin unterstützen: Mit diesem will ich diese kleine Serie abschliessen:
Jeder Akt des Konsumierens ist vom Egoismus getrieben, ob man nun ein Brot, ein Buch, einen SUV oder ein Grundstück erwirbt. Man eignet sich selber eine Ware an und schliesst andere von der Nutzung aus. Konsum-Egoismus ist legitim, er dient dem Überleben. Im Unterschied zu Brot, Buch und SUV, die in Stückzahlen von Tausenden oder Hunderttausenden hergestellt werden, ist kein Grundstück vom Menschen hergestellt noch lässt es sich multiplizieren. (Deshalb dürften Grundstücke auch nicht als Waren gehandelt werden.) Jedes einzelne Grundstück ist ein Unikat. Eine besondere Eigenschaft haben Grundstücke an Gewässern: Gewässer gehören der Allgemeinheit. Deren Schönheit zu geniessen, wollen Seeanstösser allerdings ausschliesslich für sich beanspruchen. Die Rigidität, mit der die sogenannte Eigentumsgarantie beansprucht wird, ist eine Aufforderung an Kanton und Kommunen, ebenso rigide das Eigentum See zu beanspruchen, zum Beispiel für Fussgängerstege vor Ufern. Immer wieder (zum Beispiel in Steckborn von der Stadt zur Halbinsel Feldbach) weichen Kommunen bei solchen Projekten aufgrund von Drohungen von Seeanstössern zurück.