Käuflichkeit und Unverkäuflichkeit von Boden
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- Erstellt: Mittwoch, 02. Februar 2022 20:41
1991
«Die im gegenwärtigen Bodenrecht vorgesehene freie Verkäuflichkeit von Grund und Boden schlägt für immer mehr Mitglieder in unserer Gesellschaft in eine faktische Nichtkäuflichkeit um.»
(Udo Herrmannstorfer in seinem Buch «Scheinmarktwirtschaft. Die Unverkäuflichkeit von Arbeit, Boden und Kapital»)
2022
« … wenn selbst ein stattliches Haushaltseinkommen von 130 000 Franken nicht mehr ausreicht, um eine mittelgrosse Eigentumswohnung zu kaufen, werden die Vorteile von Wohneigentum … zu einem Privileg der Reichen.»
(Andrea Martel in der NZZ vom 21. Januar 2022, Titel: «Das Eigenheim darf nicht zur Exklusivität werden.»)
Mit 30 Jahren Abstand zwei ähnlich lautende Aussagen mit völlig unterschiedlichen Folgerungen. Während Martels Artikel letztlich in der Forderung gipfelt, dass politisch etwas unternommen werden sollte, damit Wohneigentum nicht zur Exklusivität werde, ist die Situation für Herrmannstorfer ein Aufruf, das Bodenrecht in Frage zu stellen. Während sich aus der Perspektive von Martel für die Vermögensbildung nichts so gut eignet wie Wohneigentum, ist die Käuflichkeit von Boden bzw. das Bodeneigentum gemäss Herrmannstorfer eine der Ursachen für die exorbitanten Boden- und Mietpreissteigerungen, was letztlich zu einem Auseinanderdriften von Arm und Reich führt.
Und dann gibt es noch einen weiteren Aspekt: die Zersiedelung des Landes. Das Eigenheim ist in Wirklichkeit alles andere als eine Exklusivität. 2017 zählte die Schweiz 1.7 Mio Gebäude mit Wohnnutzung beziehungsweise mit 4.5 Mio Wohnungen – über die Hälfte dieser Wohnungen sind in Einfamilienhäusern. In 46% davon lebten nur eine oder zwei Personen. Eine Wohnung im Einfamilienhaus beansprucht massiv mehr Boden als eine solche in Mehrfamilienhäusern, ist also massgeblich verantwortlich für die Zersiedlung des Landes (bzw. der Hüsli-Schwiiz, wie Benedikt Loderer sie bezeichnet). Ein typisches Einfamilienhausquartier weist 10 bis 20 Wohnungen pro Hektar auf. In einer städtischen Besiedelung wie zum Beispiel Zürich Wipkingen sind es 200 Wohnungen pro Hektar. Hinzu kommt, dass neue Einfamilienhäuser meist weitab der Zentren gebaut werden, mit der Folge erhöhten Pendlerverkehrs, was Strassenausbauten und damit weiteren Bodenkonsum nach sich zieht.
Es ist zwar asozial, trotzdem aber wohl eher ein Segen, dass das Einfamilienhaus für die meisten ein unerreichbares Ziel geworden ist – gewissermassen eine «natürliche» Bremse der Zersiedelung. Hier könnte man also ein Lob des Marktes anstimmen. Das wäre ein Lob im Sinne derjenigen, die sich auf diesem Markt aufgrund ihres Vermögens mehr oder weniger alles besorgen können, was ihr Herz begehrt – oder es sich bereits besorgt haben. Gescheiter wäre es, auf der Ebene des Bodenrechts diejenigen Veränderungen vorzunehmen, welche der Nutzung und nicht dem Eigentum Priorität einräumen und letztlich dem leistungslosen Einkommen auf der Basis der Bodenrente einen Riegel vorschieben. Mehr zu diesem Thema in einem späteren Beitrag.
Drei Anmerkungen:
- Natürlich gibt es in Bezug auf den Bodenkonsum und damit die Zersiedelung einen Unterschied zwischen Eigenheim und Wohneigentum im Sinne von Eigentumswohnung. Martel verwendet allerdings mehrheitlich den Begriff «Eigenheim».
- Auf Martels Artikel auf der Seite «Meinung & Debatte» (PDF des Artikels hier) reagierte ich mit einem Leserbrief, nicht bedenkend, dass die NZZ keine Entgegnungen auf Artikel von Wirtschaftsredaktorinnen und -redaktoren publiziert. (Das ist die Praxis, die ich beobachte, keine öffentlich kommunizierte Richtlinie.) Der NZZ-Wirtschaftsredaktion soll nicht öffentlich widersprochen werden. Diese Debatte führt Andrea Martel folglich mit sich allein.
Nachtrag am 9.2.22: Heute wurde der Leserbrief in der NZZ abgedruckt. - Die zitierten Zahlen (und einige mehr) habe ich für einen Corona-bedingt abgesagten Volkshochschulkurs im Jahr 2020 zusammengestellt. Dieser soll nun am 7. Juni dieses Jahres stattfinden, Titel: Gebrauch und Missbrauch der Landschaft.