Käuflichkeit und Unverkäuflichkeit von Boden

1991
«Die im gegenwärtigen Bodenrecht vorgesehene freie Verkäuflichkeit von Grund und Boden schlägt für immer mehr Mitglieder in unserer Gesellschaft in eine faktische Nichtkäuflichkeit um.»
(Udo Herrmannstorfer in seinem Buch «Scheinmarktwirtschaft. Die Unverkäuflichkeit von Arbeit, Boden und Kapital»)

2022
« … wenn selbst ein stattliches Haushaltseinkommen von 130 000 Franken nicht mehr ausreicht, um eine mittelgrosse Eigentumswohnung zu kaufen, werden die Vorteile von Wohneigentum … zu einem Privileg der Reichen.»
(Andrea Martel in der NZZ vom 21. Januar 2022, Titel: «Das Eigenheim darf nicht zur Exklusivität werden.»)

Mit 30 Jahren Abstand zwei ähnlich lautende Aussagen mit völlig unterschiedlichen Folgerungen. Während Martels Artikel letztlich in der Forderung gipfelt, dass politisch etwas unternommen werden sollte, damit Wohneigentum nicht zur Exklusivität werde, ist die Situation für Herrmannstorfer ein Aufruf, das Bodenrecht in Frage zu stellen. Während sich aus der Perspektive von Martel für die Vermögensbildung nichts so gut eignet wie Wohneigentum, ist die Käuflichkeit von Boden bzw. das Bodeneigentum gemäss Herrmannstorfer eine der Ursachen für die exorbitanten Boden- und Mietpreissteigerungen, was letztlich zu einem Auseinanderdriften von Arm und Reich führt.

Und dann gibt es noch einen weiteren Aspekt: die Zersiedelung des Landes. Das Eigenheim ist in Wirklichkeit alles andere als eine Exklusivität. 2017 zählte die Schweiz 1.7 Mio Gebäude mit Wohnnutzung beziehungsweise mit 4.5 Mio Wohnungen – über die Hälfte dieser Wohnungen sind in Einfamilienhäusern. In 46% davon lebten nur eine oder zwei Personen. Eine Wohnung im Einfamilienhaus beansprucht massiv mehr Boden als eine solche in Mehrfamilienhäusern, ist also massgeblich verantwortlich für die Zersiedlung des Landes (bzw. der Hüsli-Schwiiz, wie Benedikt Loderer sie bezeichnet). Ein typisches Einfamilienhausquartier weist 10 bis 20 Wohnungen pro Hektar auf. In einer städtischen Besiedelung wie zum Beispiel Zürich Wipkingen sind es 200 Wohnungen pro Hektar. Hinzu kommt, dass neue Einfamilienhäuser meist weitab der Zentren gebaut werden, mit der Folge erhöhten Pendlerverkehrs, was Strassenausbauten und damit weiteren Bodenkonsum nach sich zieht.

Es ist zwar asozial, trotzdem aber wohl eher ein Segen, dass das Einfamilienhaus für die meisten ein unerreichbares Ziel geworden ist – gewissermassen eine «natürliche» Bremse der Zersiedelung. Hier könnte man also ein Lob des Marktes anstimmen. Das wäre ein Lob im Sinne derjenigen, die sich auf diesem Markt aufgrund ihres Vermögens mehr oder weniger alles besorgen können, was ihr Herz begehrt – oder es sich bereits besorgt haben. Gescheiter wäre es, auf der Ebene des Bodenrechts diejenigen Veränderungen vorzunehmen, welche der Nutzung und nicht dem Eigentum Priorität einräumen und letztlich dem leistungslosen Einkommen auf der Basis der Bodenrente einen Riegel vorschieben. Mehr zu diesem Thema in einem späteren Beitrag.

Drei Anmerkungen:

  1. Natürlich gibt es in Bezug auf den Bodenkonsum und damit die Zersiedelung einen Unterschied zwischen Eigenheim und Wohneigentum im Sinne von Eigentumswohnung. Martel verwendet allerdings mehrheitlich den Begriff «Eigenheim».
  2. Auf Martels Artikel auf der Seite «Meinung & Debatte» (PDF des Artikels hier) reagierte ich mit einem Leserbrief, nicht bedenkend, dass die NZZ keine Entgegnungen auf Artikel von Wirtschaftsredaktorinnen und -redaktoren publiziert. (Das ist die Praxis, die ich beobachte, keine öffentlich kommunizierte Richtlinie.) Der NZZ-Wirtschaftsredaktion soll nicht öffentlich widersprochen werden. Diese Debatte führt Andrea Martel folglich mit sich allein.
    Nachtrag am 9.2.22: Heute wurde der Leserbrief in der NZZ abgedruckt.
  3. Die zitierten Zahlen (und einige mehr) habe ich für einen Corona-bedingt abgesagten Volkshochschulkurs im Jahr 2020 zusammengestellt. Dieser soll nun am 7. Juni dieses Jahres stattfinden, Titel: Gebrauch und Missbrauch der Landschaft.

Die grosse Vertreibung – eine Stellungnahme

Vor bald 10 Jahren plante die Gemeinde Zumikon, Familien mit weniger als 130'000 (!) Franken Jahreseinkommen Mietkostenzuschüsse zukommen zu lassen (NZZ 29.7.2011). Heute würde man dieses Modell, das von bürgerlichen Parteien im Unterschied zur Förderung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus favorisiert wird, als Subjektförderung bezeichnen. Weder beim einen noch beim anderen Modell der Verbilligung von Wohnen wird allerdings das angetastet, was neben dem Anlagedruck der Pensionskassen ein wesentlicher Aspekt des Übels ist: die Grundrente. Sie führt u.a. dazu, dass der Staat bzw. die Allgemeinheit immer höhere Sozialkosten zu bezahlen haben. Die Mieten sind ein wesentlicher Kostenblock, der Menschen zu Empfängern von Ergänzungsleistungen oder Sozialhilfe macht. Besonders die SVP kann unaufhörlich Sozialhilfe-Kosten kritisieren oder deren Reduktion fordern, ohne sich je zu den Ursachen zu äussern. Womöglich bringt sie das Argument vor, Leistung müsse sich lohnen (deshalb Senkung der Sozialhilfe), um gleichzeitig die leistungslose Grundrente quasi als Menschenrecht zu schützen. Garantierte leistungslose Grundrente und die leistungslose Vermögensvermehrung von Grundeigentümern gehören in so hohem Mass zu den schützenswerten Einrichtungen unserer Demokratie, dass sich niemand (nicht einmal die Sozialdemokraten mit Ausnahme von Nationalrätin Jacqueline Badran) getraut, diese in Frage zu stellen. Es ist höchste Zeit, mit der verdrängten Diskussion zu beginnen. Der Artikel «Die grosse Vertreibung» von Sabine Kuster und Sebastian Borger (Thurgauer Zeitung 22. Juni 2019) könnte ein Anfang sein.

 

Eigentum und Nutzung

Vaira klein  DSC 3778 
Fattoria di Vaira, ein 500 ha-Demeterhof,
gepachtet von Ecor NaturaSì
 Manhattan / New York

 Das durch bürgerliche Revolution und Römisches Recht geprägte Denken kennt zwei Kategorien: Individuum (Pri­vatheit) und Staat. Selbst in der Schweiz, die über einen durch und durch genossenschaftlichen Stammbaum ver­fügt und – in Überresten – noch heute gemeinschaftliche Nutzungskonzepte kennt, beschränkt sich die Diskussi­on auf diese Dualität. Noch heute ist die All­mend zumindest als Flurname bekannt, fast überall hat sie aber ihre ursprünglich gemeinschaftliche Nutzungsbe­stimmung verloren. Allmenden sind oft privatisiert, gelegentlich vom Staat genutzt oder im Baurecht vergeben. Was einst allen oder niemandem gehörte, ist heute gewissermassen privat besetztes Land. Privates Bodeneigentum gehört in unserer Gesellschaft zu den höchsten rechtlichen Gü­tern. Vor diesem Hintergrund wirkt der Ausruf von Rousseau, einem Wegbereiter der französischen Revolution, wie ein Orakelspruch: „ Ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass die Früchte euch allen, der Boden aber nieman­den gehört."

Weiterlesen: Eigentum und Nutzung

1. Historische Entwicklung / Eigentumsentwicklung

„Abel ward ein Schäfer; Kain aber ward ein Ackermann." Mose 1, Kap. 4.2 Der Ackermann erschlug den Schäfer, den Noma­den, denjenigen, der noch keine Grenzen und Grundstücke kannte. Abel ernährte sich von dem, was allen gehört. Karl Marx: „Das Verhalten zur Erde als Eigentum ist immer vermittelt durch die Okkupation, friedliche oder gewaltsame, von Grund und Boden durch den Stamm, die Gemeinde ..." K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 386. Im gleich Sinn weist Rudolf Steiner darauf hin, „dass Grund und Boden z.B. durch Eroberung, also durch Entfaltung von Macht, in die Verfü­gung von irgendwelchen Menschen übergegangen ist." Rudolf Steiner: Nationalökonomischer Kurs, 7. Vortrag Doch „ist das Grund­eigentum zunächst gemeinsames, und selbst wo es fortgeht zum Privateigentum, erscheint die Beziehung des Individu­ums zu demselben gesetzt durch sein Verhältnis zum Gemeinwesen. Es erscheint als bloßes Lehen des Gemeinwesens" K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 628. Karl Marx weist damit auf eine „Eigentumsform" hin, der heute in der Ge­meingüterökonomie, begründet von Elinor Ostrom, untersucht wird. In Silvio Gesells Frage treffen wir dieselbe Haltung an: „Dürfen wir nun gestatten, daß einzelne Menschen Teile dieser Erde, Teile von uns selbst, als ausschließliches und ausschließendes Eigentum in Beschlag nehm en, Zäune errichten und mit Hunden und abgerichteten Sklaven uns von Teilen der Erde abhalten, uns ganze Glieder vom Leib reißen?" - Der Eigen­tums­begriff, der heute mehrheitlich ver­wendet wird, geht auf die römische Rechtsauffassung zurück. Eigentum wurde zum umfassen­den Herrschaftsrecht über eine Sa­che.

2. Eigentumsideologie heute

2. Auch in der Neuzeit finden wir sehr unterschiedliche Auffassungen von Bodeneigentum. „Der erste, welcher ein Stück Landes umzäunte, sich in den Sinn kommen ließ zu sagen, dies ist mein, und der einfältige Leute antraf, die es ihm glaubten, der war der wahre Stifter der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viel Laster, wie viel Krieg, wie viel Mord, Elend und Gräuel hätte einer nicht verhüten können, der die Pfähle ausgerissen, den Graben verschüttet und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: Glaubt diesem Betrüger nicht. Ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass die Früchte euch allen, der Boden aber niemanden gehört." Jean Jacques Rousseau, cit. nach Frank Augsten: Die Bodenfrage neu stellen: Aber wie?, in: Silke Helfrich udn Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.) Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter. Netzausgabe. München und Berlin 2009
Die klassische, heute dominierende Ökonomie und Rechtssprechung behandelt den Boden wie ein beliebiges, eigentumsfähi­ges Gut. Der Bodenmarkt wird als Markt wie jeder andere angesehen. Allerdings erfüllt er mindestens ein Kriterium des voll­kommenen Marktes a priori nicht, kein Grundstück ist identisch mit irgendeinem anderen, also ist Homogenität nicht gegeben.

3. Bodennutzungen

Die vorliegenden Ausführungen rücken Boden als Produktionsmittel (Industrie und Gewerbe) und als Standort für Wohnbauten in den Vordergrund. Boden ist unmittelbar aber auch Produktionsmittel des primären Sektors der Wirtschaft. Landwirtschaft / Bergbau. Traditionell und wertneutral spricht man von „Ausbeutung der Naturschätze". Tatsächlich tendiert die Nutzung der Naturschätze immer zu Ausbeutung nun in einem kritischen Sinn verstanden. Trotz grossflächiger Anerkennung der biologi­schen (und biodynamischen) Landwirtschaft braucht es noch heute enorme Anstrengungen, um die Nutzung der Naturschätze, d.h. des Landwirtschaftslandes nachhaltig zu gestalten. Die herkömmliche Landwirtschaft hat mit ihren Bodenbearbeitungsme­thoden und dem Düngereinsatz dazu geführt, dass fruchtbare Bodensubstanz in grossem Massstab vernichtet bzw. der Erosion geopfert wird.

Boden behalten – Stadt gestalten

Die einen mögen das Ziel haben, den Kapitalismus zu überwinden. Andere haben gesellschaftliche Konzepte vor Augen, mit deren Umsetzung alles viel besser würde. Doch wie kommt man im Sozialen von hier nach dort? Nur indem man im Sozialen selbst konkrete Schritte aufzeigt und tut. Wie genau Schritte gemacht werden und welche Überlegungen dabei leitend sein können, das ist im eben (Mai 2019) erschienenen Buch «Boden behalten – Stadt gestalten» beschrieben. Es ist ein Buch für soziale Handwerker ebenso wie für Juristen und politische Philosophen.

Die Herausgeber Brigitta Gerber und Ulrich Kriese versammeln die Beiträge von drei Dutzend Autorinnen und Autoren im ansprechend gestalteten vierhundertseitigen Band. Eine Zusammenstellung von grosser Dichte, eine Versammlung weitreichender fachlicher und politischer Kompetenz! Die relativ kurzen Beiträge sowie der konkrete Bezug nicht nur der politischen Kampagnen, sondern auch der grundsätzlicheren Analysen machen das Buch sehr gut lesbar; ein Buch, das man nicht von vorn nach hinten durchstudieren muss, sondern ganz selektiv lesen darf. Geradezu Unterhaltungswert bieten die Dokumente (Flugblätter, Argumentarien) verschiedener Kampagnen. Einzelne Zahlen machen die Dimension des Problems deutlich – eine einzige sei hier zitiert: «Von 1950 bis heute sind die Bodenpreise in der bayerischen Landeshauptstadt um 34283% gestiegen» (S. 385)

Ausgangspunkt des Buchs ist eine erfolgreiche Volksabstimmung in Basel. Sie schreibt dem Kanton Basel Stadt vor, stadteigenen Boden nur noch im Baurecht abzugeben (gewissermassen zu vermieten) und diesen nicht mehr zu verkaufen. Weitere porträtierte Boden-Initiativen (Emmen, Luzern, Hochdorf, Uster, Sursee, Adliswil, Winterthur u.a.m.) stammen ebenfalls aus der Schweiz. Es gibt aber auch einen Teil «Bodenpolitische Initiativen in Deutschland», der zeigt, dass sich nicht nur mit direktdemokratischen Mitteln etwas bewegen lässt. Beiträge zum «Landgrabbing» sowie die Modelle Honkong und Singapur weiten den Horizont. Erschienen ist das Buch bei rüffer & rub (www.ruefferundrub.ch) und ist Dank finanzieller Unterstützung durch verschiedene Organisationen zum sehr günstigen Preis von 28 Franken bzw. 23.50 Euro zu erwerben.

Hier das Inhaltsverzeichnis des Buchs.

Ein Beitrag aus meiner «Feder» trägt den Titel «Die Schweiz – ein Land der EidgenossInnen, Bürgergemeinden, Alpkorporationen und Allmenden». Mehr dazu siehe hier